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Dr. Antje Harling über Papier in Lebensmittelverpackungen

Wie sind Sie beruflich mit gesetzlichen Forderungen hinsichtlich Verpackungen befasst und wie genau befassen Sie sich beruflich mit der Bewertung von Lebensmittelkontaktmaterialien?

Als Geschäftsbereichsleiterin der Division „Materialprüfung und Analytik“ an der Papiertechnischen Stiftung (PTS) spielen gesetzliche Anforderungen an Verpackungen eine wichtige Rolle. In vielfältiger Art und Weise überprüfen wir bilaterale Verpackungsspezifikationen von Kunden und Lieferanten (z. B. physikalische Kennwerte), bewerten die Rezyklierbarkeit von faserbasierten Verpackungslösungen und analysieren und bewerten die gesetzlichen Anforderungen für Lebensmittelkontaktmaterialien. Auch im Bereich Weiterbildung sind wir an der PTS durch Workshops zur Konformitätsarbeit von Papier, individuelle Inhouse-Schulungen für Firmen, Fachtagungen zu lebensmittelrechtlichen Entwicklungen, Auswahl von Altpapierqualitäten und Entwicklung von neuartigen faserbasierten Verpackungen täglich mit gesetzlichen Anforderungen konfrontiert.

Wie sollten die Behörden länderübergreifend kooperieren, um im Gesetzesdschungel mehr Sicherheit und mehr Einheitlichkeit für die Inverkehrbringer zu schaffen?

Der Vollzug der lebensmittelrechtlichen Überwachung ist in Deutschland Aufgabe der unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden auf kommunaler Ebene. Damit erhalten wir im ungünstigsten Fall mehr als 400 Interpretationen der Anforderungen für Inverkehrbringer von Lebensmittelkontaktmaterialien. Wünschenswert wäre ein einheitlicher Anforderungskatalog für Verpackungen. Da es sich beim FCM-Recht um Spezialrecht handelt, wäre eine bundeseinheitliche Zentral-Behörde – ggf. sogar auf EU-Ebene – wünschenswert, welche die FCM-Anforderungen inklusive GMP-Definition für alle Inverkehrbringer einheitlich definierte und den Vollzug harmonisiert durchführte. Im Föderalismus ist diese Vorstellung jedoch wohl Utopie. Auch sollte sich verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln und die Investition in ein funktionierendes Qualitätssystem finanziell für die Unternehmen im Wettbewerb rentieren.

Welcher Bereich sollte aus Ihrer Sicht vom Gesetzgeber dringend geregelt werden?

Wünschen würde ich mir eine EU einheitliche Regelung für Paper & Board im Lebensmittelkontakt sowie Vorgaben für MMML Artikel mit Papier-Bestandteilen, inklusive Vorschriften zur Prüfung von Migrationen / SML / Restgehalten. Im Dschungel verschiedener Papier-Regulierungen der Einzelstaaten (D, NL, F, I, Skandinavien, …) sowie unrealistischer Immersions-Prüfungen beschichteter Papiere finden sich derzeit nur noch ausgewiesene Experten zurecht. Der Bereich der FCM-Druckfarben sollte auf EU-Ebene harmonisiert geregelt werden, und die Mineralöl-Kohlenwasserstoff-Problematik sollte aus der unzulässig einschränkenden FCM-Betrachtung herausgelöst werden und Eingang in EU-Kontaminanten-Regulierungen finden.

Die gesetzlichen Vorgaben werden immer strenger. Welche Konsequenzen kann das für Zulieferer und Hersteller, aber auch für die Verbraucher haben?

Die gesetzlichen Vorgaben werden immer komplexer und unübersichtlicher. Für Unternehmen bedeutet dieses einen hohen Schulungs- und personellen Aufwand, um Up-to-Date zu bleiben. Auch globale Regulierungen (z. B. China / Asien) gewinnen zunehmend an Bedeutung und erhöhen die Komplexität weiter.

Wie schätzen Sie grundsätzlich das Risiko nicht gelisteter Substanzen ein?

In der Vergangenheit zeigten viele Beispiele, dass unter den nicht gelisteten Substanzen (z. B. Druckfarben-Bestandteile wie Photoinitiatoren, Abbau- und Reaktionsprodukte wie paA etc.) Subtanzen zu finden sind, die von den zuständigen Behörden als sehr kritisch bewertet wurden. Die Unternehmer haben häufig nicht die volle Kenntnis der Rezepturen und so ist Vorhersage von „predictable NIAS“ und somit die Risikobewertung ziemlich schwierig. Das Risiko „ungelisteter“ Substanzen schätze ich daher relativ hoch ein, da unter den zuvor unbekannten Substanzen immer wieder auch als CMR eingestufte Stoffe zu finden sind.

Wo sehen Sie momentan für Packmittelhersteller besonderen Handlungsbedarf?

Packmittelhersteller müssen aufgrund gesetzlicher Entwicklungen wie dem Verpackungs-Gesetz oder auch der EU Single-Use Plastics Directive derzeit die steigenden Anfragen nach nachhaltigen Produkten und Rezyklierbarkeit bedienen. Hier sollte bereits zu Beginn der Produktentwicklung ein ganzheitlicher Ansatz gedacht werden und eng mit den späteren Anwendern zusammengearbeitet werden.

Wie schätzen Sie grundsätzlich die Bedeutung von Grenzwerten, z. B. für spezifische Migrationslimits (SML), ein?

SML sind ein wichtiges Instrument zur Begrenzung von bekannten Migrationen. Verlässlich als Verbraucherschutz-Instrument sind sie indes nur, wenn die ihnen zugrundeliegende Sicherheitsbewertung valide ist. Für einige „historische“ SML (z. B. der Kunststoff-Regulierung) ist das nicht zwingend gegeben. Wünschenswert wäre zu den jeweiligen SML auch eine analytische Methodensammlung zur Überprüfung dieser Werte – diese Informationen sind für die Öffentlichkeit derzeit nicht zugänglich.

Es werden wieder zunehmend Papier und Karton für Lebensmittelverpackungen eingesetzt und diese könnten Plastik verdrängen. Ist das aus Ihrer Sicht auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit ein richtiger Trend?

Papiere und Kartone sind hinsichtlich der erzeugbaren Verpackungs-Eigenschaften wahnsinnig vielfältig gestaltbar. Als Produkte aus überwiegend nachwachsenden Rohstoffen sind sie zudem hinsichtlich Nachhaltigkeit und mit einem in Deutschland sehr gut funktionierendem Sammel- und Recyclingstrom als Verpackungsmaterial sehr gut aufgestellt.

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Harling.

Nach dem Studium der Lebensmittelchemie promovierte Frau Harling an der TU Braunschweig zum Thema „Alkenylether von Glucose und Dextran als reaktive Intermediate“.
Von 2010 bis 2014 war sie am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt CVUA in Stuttgart in der Abteilung Bedarfsgegenstände als Laborleiterin und Projektleiterin tätig. Dort bearbeitete sie mehrere Projekte zum Thema Lebensmittelkontaktmaterialien mit analytischem und lebensmittelrechtlichem Schwerpunkt.
Seit Mitte 2014 ist sie an der Papiertechnischen Stiftung (PTS) als Projektleiterin beschäftigt. Ihr Aufgabenbereich umfasste den Ausbau und die Betreuung des Gaschromatographischen und instrumentell-analytischen Messlabors mit dem Schwerpunkt Lebensmittelkontaktmaterialien. Hier leitete sie verschiedene Forschungsvorhaben.
2015 wurde sie Geschäftsbereichsleiterin Materialprüfung & Analytik an der Papiertechnischen Stiftung (PTS) und ist seitdem verantwortlich für Dienstleistungen und Forschungsvorhaben rund um Messen und Prüfen – vom Rohstoff bis zum Enderzeugnis. Sie ist in verschiedenen Gremien des DIN/CEN Papier, Pappe, Faserstoffe sowie der Bedarfsgegenständekommission des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR, BeKo) und dem Papierausschuss des BfR akti
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