Mit Ihrem Thema “Beschichtungskonzepte für leicht recycelbare oder kompostierbare Verpackungen” leisten Sie einen Beitrag zu unserer Tagung Umwelt- und umfeldgerechte Kunststoffverpackungen durch Kreislaufwirtschaft im Mai in Würzburg. Was genau werden Ihre Kernaussagen sein?
Ich werde unsere bioORMOCER®-Technologie vorstellen und die Chancen für die Verpackungsindustrie, die sich daraus ergeben – gerade vor dem Hintergrund des neuen Verpackungsgesetzes.
Die Kunststoffverpackung dient in erster Linie dem Produktschutz und beugt somit Lebensmittelverschwendung vor. Trotzdem tendieren Medien und auch die öffentliche Meinung in jüngster Vergangenheit immer mehr zu Negativ-Darstellungen von Verpackungen insgesamt. Neben Umweltrisiken werden auch immer wieder Gesundheitsrisiken bemängelt. Wie schätzen Sie das Aufwand-Nutzen-Verhältnis von Verpackungen allgemein und von Kunststoffverpackungen insbesondere ein?
Verpackungen sind und werden gerade im Frischebereich nicht zu ersetzen sein. Weite Teile der Bevölkerung haben sich daran gewöhnt, frische Nudelzubereitungen, frischen Käse, frische Wurst, frisches Fleisch jederzeit einkaufen zu können. Das geht nicht ohne Hochleistungsverpackungen, denn nicht überall sind Frischetheken mit Bedienpersonal vorhanden. Oder denken Sie an Kaffee – ohne Aromaschutzpackungen hält sich dieser nicht.
Es gibt aber andere Bereiche, wo Verpackungen überflüssig sind oder deutlich minimiert werden könnten. Und schließlich liegt es an jedem selbst zu entscheiden, welche Produkte und welche Verpackungen er damit einkauft. Die Menschen selbst sind dafür verantwortlich, was sie einkaufen und wie sie mit Verpackungen am Ende umgehen. Keine Verpackung landet von allein in der Umwelt!
Deutschland belegt mit 220,5 kg produziertem Verpackungsmüll pro Einwohner und Jahr einen traurigen Spitzenplatz in Europa (zum Vergleich: Der EU-Mittelwert liegt bei 167,3 kg). Welche Besonderheit steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Zahl?
In Deutschland wird in der Tat viel verpackt, To-go und Convenience überall, da gibt es eine Menge zu verändern. Verbraucher und Industrie müssen sich umstellen.
Das Verpackungsgesetz soll Verpackungsmüll reduzieren oder anders gesagt, Packmittelnutzen verbessern. Wie sieht Ihre Empfehlung zu diesem Themenkomplex aus?
Kein Gesetz reduziert den Verpackungsmüll; auch hier sind die Hersteller gefragt, dort, wo es sinnvoll ist, auf Verpackungen per se zu verzichten. Die notwendigen Verpackungen müssen dann aus leicht recycelbaren Materialien sein, die nicht verbrannt, sondern wirklich wiederaufbereitet werden können. Dahinter stehen aber sehr komplexe Prozesse, das ist nicht mit einfachen Antworten zu regeln.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat einen „5-Punkte-Plan“ mit Maßnahmen für weniger Kunststoff und mehr Recycling vorgestellt. Dieser sieht gesetzliche und freiwillige Maßnahmen zur Vermeidung von Plastik vor. Sie hat kein Verständnis dafür, wenn Gurken in Folien eingeschweißt und Obst und Gemüse in Kunststoffverpackungen abgepackt sind. Unter anderem soll mehr Ware unverpackt angeboten und private Mehrweg-Behälter an der Frischetheke ermöglicht werden. Dass Folienverpackungen dem Produktschutz dienen und der Lebensmittelverschwendung vorbeugen, scheint sie dabei nicht zu bedenken. Was halten Sie von diesem Plan?
Auch hier gilt meines Erachtens: Der Verbraucher hat es in der Hand und muss sich fragen, ob er wirklich verpackte Gurken oder andere Gemüse/Obst kaufen will. Folienverpackungen werden ja auch häufig eingesetzt, um Bioprodukte von konventionellen unterscheidbar zu machen. Darüber lässt sich diskutieren und inzwischen gibt es ja schon Lösungen, die diese Art von Verpackungen vermeiden.
Ist Recycling für Sie der richtige Weg raus aus der Packmittel-Diskussion?
Auch das kann man nicht so einfach beantworten. Recycling ist ein Weg, aber grundsätzlich müssen verschiedene Modelle entwickelt werden, um zu sinnvollen ökologischen und ökonomischen Lösungen zu kommen.
Welche Maßnahmen müssen die „Inverkehrbringer“ von Verpackungen ergreifen, um eine ausgewogenere Diskussion zu erreichen?
Meines Erachtens sollten sie endlich bei den Verpackungsherstellern die technischen Lösungen einfordern, die bereits jetzt vorhanden sind, wie z. B. unsere bioORMOCER®-Technologie. Die ist reif für den industriellen Prozess. Und es fehlt eine gute Aufklärungskampagne, die den Verbraucher darüber informiert, dass Verpackungen komplexe Hochleistungsmaterialien sind – eigentlich viel zu schade zum Wegwerfen. Damit ließe sich auch ein Umdenken bei den Menschen erreichen.
Was denken Sie, wie wir in 20 Jahren einkaufen? Wie werden umwelt- und umfeldgerechte Verpackungen in 10 oder sogar 20 Jahren aussehen?
Ich hoffe, dass wir dann wirklich über kompostierbare und einfach zu recycelnde Verpackungen sprechen. Das sollte in 10 Jahren Standard sein. Und ich hoffe, dass die To-go-Welle bis dahin wieder abgeflacht ist, denn allein dadurch werden gigantische Mengen an Verpackungsmüll produziert, der vermeidbar wäre.
Achten Sie auf eine optimale Verpackung, wenn Sie privat einkaufen? Und wie sieht die für Sie aus?
Ja, natürlich. Da wo es möglich ist, vermeide ich Verpackungen, kaufe loses Obst und Gemüse und verzichte auf Convience.
Wie genau nehmen Sie es persönlich mit der Mülltrennung? Und wie wichtig stufen Sie als Verbraucher und Fachmann die Mülltrennung ein?
Mülltrennung ist inzwischen in „Fleisch und Blut“ übergegangen, schon in der Küche stehen verschiedene Behälter. Die Trennung halte ich für sinnvoll, damit in Sortieranlagen leichter Rohstoffe heraussortiert und zu neuen Sekundärmaterialien aufgearbeitet werden können.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was begeistert Sie außerhalb Ihres Berufes?
Oh, da gibt es eine Menge, ich bin ein naturverbundener Mensch und gern draußen, wenn es meine Zeit zulässt. Ich betreibe außerdem gern Sport und spiele Schlagzeug.
Dr. Sabine Amberg-Schwab hat an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg Biologie und Chemie studiert und ihre Promotion am Institut für Anorganische Chemie an der Universität Würzburg absolviert. Danach begann sie, am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC als Wissenschaftlerin an der Entwicklung neuer Beschichtungsmaterialien, vor allem im Bereich funktioneller Beschichtungsmaterialien auf der Basis von anorganisch-organischen Hybridpolymeren (ORMOCERe) zu arbeiten.
Sie ist Leiterin der Abteilung „Funktionelle Barriereschichten“ am Fraunhofer ISC.
In den letzten Jahren haben besonders die Hybridpolymere (ORMOCERe) mit Barrierewirkung gegenüber Gasen, Wasserdampf und Aromastoffen von sich reden gemacht. Diese ORMOCERe können für komplexe Spezialanforderungen im Verpackungsbereich angepasst werden.
Frau Dr. Amberg-Schwab und ihr Team haben die Materialklasse der Hybridpolymere weiterentwickelt zu den bioORMOCERen, die sich durch Bio-Abbaubarkeit, exzellente Barrierewirkung und weitere funktionelle Eigenschaften auszeichnen.
Für ihre Entwicklungsarbeiten im Bereich der antimikrobiellen Beschichtungen erhielt sie 2005 den ICE Preis (International Coating Exhibition).
Im Jahr 2011 konnte sie den Fraunhofer-Preis für ihre Entwicklungsarbeiten zu low-cost Barrierefolien für die Verkapselung von Solarzellen entgegennehmen. Dieser Preis wird seit 1978 jährlich von der Fraunhofer-Gesellschaft für herausragende wissenschaftliche Leistungen an Fraunhofer-Mitarbeitende verliehen, die zur anwendungsorientierten Problemlösung führten.
2018 hat sie den „New Plastics Innovation Prize“ der Ellen-MacArthur-Foundation für die Entwicklung der bioORMOCERe gewonnen, der ihr am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos in der Kategorie Circular Materials Challenge verliehen wurde.
Geschrieben am 17. Apr, 2019
Kategorie: Allgemein, Barrierefolien, Biofolien, Entsorgung / Recycling, Folienherstellung/Veredelung, Lebensmittelverpackung, Neuigkeiten
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